Fußgendarm und berittener Gendarm des Herzoglich Gothaischen Gendarmeriekorps um 1911 [15]
Bei Recherchen zur Heimatgeschichte von Gräfenroda fand ich folgenden Beitrag in der „Augsburger Abendzeitung“ Nr. 212 vom 03.08.1889 Seite 6, der wortgleich auch in der Zeitung „Der freie Landesbote“ Nr.178 vom 07.08.1889 Seite 2 unter „Vermischtes“ veröffentlicht wurde:
Von der Reise der Kaiserin und der kaiserlichen Prinzen von Kissingen nach Kassel wird die folgende hübsche Episode erzählt:
Während im vorigen Sommer die kaiserlichen Prinzen in Oberhof weilten, ertheilte bekanntlich der Gendarm Nußpicker aus Gräfenroda den älteren Prinzen Unterricht im Exerzieren; er wurde hierbei von dem Gendarm Wönne unterstützt. Die Prinzen gewannen ihre Exerziermeister sehr lieb, und, als sie nach Berlin zurückkehrten, nahmen sie Nußpicker in ihrem Salonwagen bis Gräfenroda mit.
Damals nahm man allgemein an, daß die Prinzen auch in diesem Jahre wieder nach Oberhof kommen würden, und der Kronprinz rief deshalb Nußpicker beim Abschied in Gräfenroda zu: „Nächstes Jahr auf Wiedersehen!“. Am Sonnabend fand nun dieses Wiedersehen statt. Nußpicker war telegraphisch angewiesen worden, die Ankunft der Kaiserin und der kaiserlichen Prinzen auf dem Bahnhofe in Gräfenroda zu erwarten. Schon als der Zug einfuhr, sah man die im ersten Wagen befindlichen Herrn der Begleitung Nußpicker freundlich zunicken und zuwinken; die Prinzen jedoch brachen in hellen Jubel aus, als sie ihren ehemaligen Exerziermeister erblickten. Sobald der Zug hielt, mußte Nußpicker an den Wagen der Prinzen herantreten, und nun gab es Händedrücken und Fragen, als hätte ihnen keine größere Freude passieren können, als dieses Wiedersehen. Die kleinen Prinzen, die mit ihren Händen zu den hohen Fenstern nicht hinlangen konnten, ließen sich emporheben, um Nußpicker die Hand zu drücken. Die Kaiserin befand sich mit dem Prinzen August Wilhelm und einigen Damen gerade im vorhergehenden Salonwagen, der mit dem Wagen der Prinzen durch einen Gang verbunden war. Da stürmten plötzlich zwei ihrer Söhne herein und verkündeten ihr voll Freude, daß Nußpicker da sei, sie möge auch kommen und ihn sehen. Die Kaiserin erschien dann bald danach auch am Fenster des zweiten Wagens, an welchem inzwischen der Kronprinz die Unterhaltung mit Nußpicker fortgesetzt hatte, und sagte zu diesem in ihrer leutseligen Weise: „Meine Kinder haben mir sehr viel von Ihnen erzählt; Sie haben sich viel Mühe mit ihnen gegeben, als Sie ihnen Exerzierunterricht ertheilten; es freut mich sehr, daß ich Sie nun auch noch kennen lerne!“. Mit einem freundlichen Gruße verabschiedete sich die Kaiserin, und der Zug setzte sich in Bewegung. Der Kronprinz rief beim Weiterfahren noch aus dem Fenster: „Grüßen Sie auch Wönne!“. Als die Prinzen übrigens bald danach den Bahnhof Gotha passierten, erblickten sie Wönne und gaben der Freude über dieses Wiedersehen ebenfalls den herzlichen Ausdruck.
(Schreibeise wie im Original)
Zu den in obigem Pressebeitrag genannten Gendarmen Nußpicker (richtige Schreibweise Nußbicker) und Wönne wurde bisher bekannt:
Nußbicker, Heinrich, Carl
(geb. am 14.12.1851 in Tambach; Todestag und konkrete Wohnanschriften nicht bekannt)
- 1884 – Vizefeldwebel im 8. Thüringischen Infanterie Regiment Nr. 95: ausgezeichnet mit der Eisernen Schnalle am grünen Band mit schwarzer Einfassung
- 1890 – Gendarm in Liebenstein [1]
- 06.08.1896 – Gendarm in Liebenstein; Auszeichnung mit der Verdienstmedaille in Silber [2]
- 1897 – Kurzbeitrag zum Wirken von Nußbicker: Der Postagent Landmann aus Frankenhain wurde durch den Gendarm Nußbicker in Gräfenroda ergriffen. Die durch Landmann unterschlagenen Beträge sollen eine beträchtliche Höhe erreichen. [3]
- 1901 – Gendarm in Gräfenroda [4]
- 18.02.1907 – Fußgendarm in Gräfenroda; allg. Vorschlag für Hausorden und Medaillen der Herzöge
- 03.03.1907 – Gendarm in Liebenstein; Verdienstmedaille in Silber
- 18.02.1907 – Fußgendarm in Gräfenroda; Verleihung der Verdienstmedaille in Gold
- 11.01.1912 – Gendarmerie-Wachtmeister in Gierstädt [5]; Verdienstkreuz
- 1913 – Gendarmerie-Wachtmeister in Gierstädt; Herzog Carl Eduard Medaille II. Klasse.
Am 01.01.1912 trat, vermutlich mit der Versetzung von Nußbicker nach Gierstädt, der Gendarmeriemeister Hermann Pickardt (geb. am 26.11.1876 in Heringsdorf, zuletzt wh. gewesen Gräfenroda, Waldstraße 70) als dessen Nachfolger den Dienst in Gräfenroda an und übte diesen bis mindestens 1935 aus.
Wönne, August Dorotheus
16.06.1855 – Der Sergeant des 2. Bataillons August Dorotheus Wönne aus Gotha als Amtsdiener in Gotha wurde in der Coburgischen Gendarmerie definitiv angestellt. [6]
- 1874 – Sergeant Thüringer Infanterie-Regiment, Nr. 95 [7] & Gendarm in Friedrichswerth
- 1884 – Gendarm in Friedrichswerth [8]
- 1888 – Gendarm in Friedrichswerth; hat die Verteilung von Flugblättern für die Wahl des Sozialdemokraten Bock verhindert. [9]
- 1990 – Gendarm in Friedrichswerth [10]
- 1896 – Verdienstmedaille in Gold [11]
Zu Nußbicker und Wönne wurden noch folgende Pressemitteilungen aufgefunden:
Seine Hoheit, der Herzog, haben den Gendarmen Wönne und Nußbicker zur Zeit in Oberhof die Anlegung der von seiner Majestät dem deutschen Kaiser und König von Preußen ihnen verliehenen „Rote-Adler Medaille“ zu gestatten geruht.
Gotha, den 31.August 1888 [12]
Die Kaiserin hat den Coburg-Gothaschen Gendarmen Wönne in Friedrichswerth und Nußbicker in Liebenstein, welche während der Anwesenheit der Prinzen in Oberhof dorthin kommandiert gewesen waren, ein Weihnachtsgeschenk von je 100 M übergeben lassen. [13]
Zur Gendarmerie im Herzogtum Gotha zur Zeit von Nußbicker
1811 wurde im Herzogtum Sachsen-Gotha-Altenburg mit dem Patent vom 22. November 1811 die „Land-Polizei-Miliz“, alternativ als Gendarmeriekorps bezeichnet, aufgestellt. Das Gendarmeriekorps unterstand dem Chef der Landesregierung also einer Zivilbehörde. Die Gothaer Gendarmen waren somit keine Militärangehörigen und unterstanden disziplinarisch den zivilen Gerichten. Als Gendarmen, berittener Gendarm oder Fußgendarm, wurden gediente Militärangehörige eingesetzt. Nach seiner Aufstellung unterlag das Gendarmeriekorps mehrfach strukturell, personell und hinsichtlich seiner Aufgabenstellung, Veränderungen.
So existierte ab 1888 nur noch eine Brigade als Gendarmerie-Kommando für das gesamte Herzogtum Gotha. Kommandeur war nun ein Oberwachtmeister, der direkt dem Staatsministerium unterstellt war. Seine Funktion war jedoch stark begrenzt, da die unmittelbare Dienstaufsicht den Landratsämtern oblag. Zu diesem Zeitpunkt bestand das Korps aus einem Oberwachtmeister als Kommandeur, sieben berittenen- und 16 Fußgendarmen die in den drei Landratsämtern Gotha, Waltershausen und Ohrdruf in 23 Orten stationiert waren.
Einer dieser Fußgendarmen war Nußbicker in Gräfenroda.
Im Hof- und Staatshandbuch für die Herzogthümer Sachsen-Coburg 1890 wird zur Gendarmerie angeführt:

Nach der Novemberrevolution 1918 wurde das Gendarmeriekorps zuerst umbenannt und mit der Gründung des Landes Thüringen 1920 in die neue Schutzpolizei integriert.
Zur Kaiserin Auguste Viktoria und zu den kaiserlichen Prinzen in Oberhof
Auguste Viktoria Friederike Luise Feodora Jenny von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Augustenburg (geb. 22.10.1858 in Schloss Dolzig (heute: Dłużek) im Kreis Sorau (Żary) in der Niederlausitz; gest. 11.04.1921 im Haus Doorn, Niederlande; Tochter des Herzogs Friedrich VIII. zu Schleswig-Holstein-Sonderburg-Augustenburg)
Am 27.02.1881 heiratete Auguste Viktoria den preußischen Prinzen Wilhelm von Preußen. Mit der Thronbesteigung ihres Mannes am 15.06.1888 wurde Auguste Viktoria Deutsche Kaiserin und Königin von Preußen.
Aus der Ehe entstammen sieben Kinder, ein Mädchen und sechs Jungen.
Im turbulenten „Dreikaiserjahr“ 1888 wechselten sich im Berliner Hohenzollernschloss Staatsbegräbnisse und Krönungsfeierlichkeiten in kurzer Folge ab. Kaiserin Auguste Viktoria erwartete zudem ihren 5. Sohn. Ihre 4 anderen Söhne Kronprinz Friedrich Wilhelm Victor August Ernst (6 Jahre), und die Prinzen Wilhelm Eitel Friedrich Christian Karl (5 Jahre), Adalbert Ferdinand Berengar Viktor (4 Jahre) und August Wilhelm Heinrich Günther Viktor (1 Jahr) störten zu diesem Zeitpunkt den Tagesablauf gewaltig. Kurzerhand wurden die Prinzen in das Oberhofer Jagschloss des damalige Landesfürsten Alfred von Sachsen-Coburg und Gotha, Verwandter der Kaiserin, untergebracht.
Die Zeitungen in Deutschland berichteten nun Tag für Tag ausführlich in ihrer Hofberichterstattung vom Prinzenbesuch in Oberhof. Erstmals erfuhren die Leser auch von der Schönheit und dem Reiz des idyllisch gelegenen Oberhof und seiner von Waldespracht geprägten Umgebung. Eine fantastische Werbung für den Thüringer Wald aber vor allem für den Ort! Tausende Schaulustige strömten in diesen Wochen auf die Oberhofer Höhe, um einen Blick auf die Prinzen zu erhaschen.
Für die Sicherung der kaiserlichen Familienmitglieder wurden die beiden Gendarmen Nußbicker und Wönne abgestellt.
Wie dem obigen Zeitungsbericht zu entnehmen ist, erteilten Nußbicker und Wönne neben ihren Sicherungsaufgaben auch Exerzierunterricht für den 6-jährigen Kronprinzen und des 5 und 4 Jahre alten Brüder.
Die Kaiserin soll sich mit ihren Kindern auch in den Folgejahren, so auch im Jahr 1889, mehrfach in Oberhof aufgehalten haben. [16]

Historische Darstellung des Jagdschlosses in Oberhof16

Kaiserin Auguste Viktoria [17]

Kronprinz Friedrich Wilhelm [16]

der Kronprinz zum 6. Geburtstag [18]
- [1] Quelle: Hof- und Staatshandbuch für die Herzogthümer Sachsen-Coburg und Gotha 1890, Seite 203
- [2] Quelle: Register zum Regierungsblatt für das Herzogthum S. Coburg auf das Jahr 1896, Seite 4
- [3] Quelle: Beilage zur Nr. 32 des „Merseburger Correspondet“ vom 07.02.1897
- [4] Quelle: Hof- und Staatshandbuch für die Herzogthümer Sachsen-Coburg und Gotha 1901, Seite 85
- [5] Quelle: Regierungs-Blatt für das Herzogtum Coburg 1912, Seite 29
- [6] Quelle: Geschichte der Stammtruppen des 6. Thüringischen Infanterie-Regiments Nr. 95 als Deutsche Bundeskontingente von 1814 – 1867, zweiter Band, Seite 93
- [7] Quelle: Staatshandbuch und geographisches Ortslexikon für die Herzogthümer Sachsen-Coburg und Gotha, Band 8. Seite 80
- [8] Quelle: Staatshandbuch und geographisches Ortslexikon für die für die Herzogthümer Sachsen-Coburg und Gotha, Band 8, Seite 127
- [9] Verhandlungen des Reichstages – Band 194 – Seite 519
- [10] Quelle: Hof- und Staatshandbuch für die Herzogthümer Sachsen-Coburg und Gotha 1990, Se ite 202
- [11] Quelle: Register zum Regierungsblatt für dar Herzogthum S. Coburg auf das Jahr 1896, Seite 4
- [12] „Regierungs-Blatt für des Herzogthum Coburg“ vom 12.09.1888 unter Ministerial – Bekanntmachung
- [13] Hofer Tagesblatt (Moser Post) Oberfränkischer General-Anzeiger vom 06.01.1989
- [14] Quelle: Hof- und Staatshandbuch für die Herzogthümer Sachsen-Coburg und Gotha 1890, Seite 202
- [15] Quelle: Wikimedia
- [16] Quelle: https://www.oberhof.de/Oberhof-Erleben/Familie/Familienurlaub-im-Jahr-1888
- [17] Quelle: Bundesarchiv_Bild_102-01286
- [18] Quelle: Sonntags-Zeitung, Heft 37, Seite 683