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Geschichtliches: Jakob van Hoddis

von Alexandra

Porträt, Foto 1910


Ein deutscher Dichter des literarischen Expressionismus fand in Frankenhain für einige Jahre ein Zuhause

Jakob van Hoddis

Jakob van Hoddis (eig. Hans Davidsohn) wurde am 16. Mai 1887 in Berlin als Sohn eines Arztes geboren. Mit seinen vier Geschwistern wuchs er dort auf. Später besuchte er das Friedrich-Wilhelms-Gymnasium. Bereits während dieser Zeit schrieb er erste Gedichte. Nach Abschluss der Hochschulreife immatrikulierte sich Davidsohn an der Technischen Hochschule Charlottenburg für Architektur, brach nach einem Jahr das Studium ab und wechselte an die Jenaer Universität, um Klassische Philologie zu studieren. Das beendete er an der Friedrich-Wilhelms-Universität in seiner Geburtsstadt Berlin. Dort, an der Keimzelle des literarischen Expressionismus, konnte er seine dichterischen Ambitionen im von ihm mit gegründeten „Neuen Club“ in den Hackeschen Höfen  ausleben. Er nimmt das Pseudonym van Hoddis an, das ein Anagramm (Buchstabenrätsel) von Hans Davidsohn ist.

Durch sein Gedicht „Weltende“ (1911) wurde er schlagartig berühmt. Dieser Errungenschaft folgte ein geistiger Nervenzusammenbruch, der ab 1914 sein Leben völlig aus den Bahnen warf. Jakob van Hoddis hatte aber dennoch Aufenthalte in Paris, Heidelberg und München bewerkstelligen können. Im Frühjahr 1914 hielt er seinen letzten Vortrag in jenem Zirkel, der ihm zum Erfolg verhalf. Danach war sein unstetes Leben, das ihn durch Deutschland führte, von ständigen ärztlichen Behandlungen begleitet worden. Im August oder September d. J. wurde er nach Bad Elgersburg gebracht und dort in die Zinksche Kur-und Badeanstalt eingewiesen. Als diese 1915 kriegsbedingt schließen musste, kam er über Gräfenroda nach Frankenhain.

Während der politikvernarrte Arthur Dinter am Dörrberg in seiner Villa am Fuße des Bergmannskopfes den großen Judenmord geistig vorbereitete, gewährte der politikferne Frankenhainer Volksschulrektor Emil Siegling (1872 – 1946) dem kranken Juden von 1915 bis 1922 Heimstatt und Pflege im Schulhaus.


Ehemaliges Schulhaus in Frankenhain. Foto Rolf Greßler. 2025.


Als Hoddis im Sommer 1915 hier ankam, schrieb er noch Gedichte. Eines verfasste er für das Poesiealbum von Elisabeth Siegling, der Tochter des Rektors:

„Wirf deinen Anker/nicht nach der Tiefe/ des Erdenschlammes/ sondern nach der Höhe/ des Himmelblaues/ und dein Schifflein/ wird glücklich landen/ im Sturm“.

Die heilklimatische Gegend animierte den Unheilbaren zu ausgedehnten Spaziergängen und Wanderungen, so dass ihn die Einheimischen nur noch den „Schnellläufer“ nannten. Im Frühjahr oder März 1919 lief Hoddis sogar bis Erfurt, um seinen Freund, den Philosophen David Baumgardt (1890 Erfurt – 1963 New York), zu besuchen, der ihn seinerseits kurz darauf in Frankenhain besuchte. Nach den Jahren in Frankenhain hatte van Hoddis leidvolle Zeiten in verschiedenen Heilanstalten Deutschlands durchgemacht. Diese Odyssee endete in einem Pflegeheim in Baden-Württemberg.

Am 30. April 1942 wurde der 55-Jährige in das von der Wehrmacht besetzte Polen deportiert und vermutlich im Vernichtungslager Sobibor im Mai oder Juni desselben Jahres ermordet.

Am 23. Mai 1998 wanderten 14 Schriftsteller aus Thüringen auf Spuren des Dichters von Erfurt nach Frankenhain. Unter ihnen war auch der Lyriker, Schriftsteller und Bühnenautor Harald Gerlach (1940 Bunzlau – 2001 Leimen). Er hatte schon 1968 in Frankenhain in Sachen Hoddis recherchiert. Seitdem hat ihn der Dichter nicht mehr losgelassen. Ähnlich erging es Wulf Kirsten (1934 Klipphausen – 2022 Bad Berka). Der bekannte Thüringer Lyriker, Prosaist und Herausgeber konnte  1971 in Frankenhain noch die Tochter des Rektors über diese von ihm herausgebrachte „Dichterwanderung“: W. K. (Hg.), „Wandern über den Abgrund. Jakob van Hoddis nachgegangen. Eine Hommage“ (1999) befragen. Elisabeth Siegling überließ Kirsten dabei explizit die Seite aus ihrem Poesiealbum mit dem im Jahr 1915 von Jacob van Hoddis in Frankenhain handschriftlich verfassten Gedicht.

Von vielen Zeitgenossen, damaligen Literaturkritikern und Intellektuellen, wurde die eigenwillige, auch über ihren Zeitgeist hinaus, verfasste Lyrik des jüdischen Literaten hoch geschätzt. Literaturkritiker und -wissenschaftler, Rezensenten, Autoren beschäftigen sich bis heute in verschiedenen Blickwinkeln mit seinem Leben und Werk. Jakob van Hoddis gebührt Ehre durch Gedenktafeln, so in Tübingen und in Göppingen, wo auch ein Wohnheim seinen Namen trägt. In Berlin-Mitte erinnert seit 1994 eine Chronik am Eingang zu den Hackeschen Höfen an ihn.

Unsere Gegend hat historische Ansätze zum Expressionismus. Nicht nur van Hoddis, der Literat, sondern auch die Künstler der Malerei und Grafik, wie Edvard Munch (1863 Löten, Norwegen – 1944 Ekely, Schweden) oder Lyonel Feininger (1871 New York, City – 1956 ebenda) waren hier: Munch erholte sich in Bad Elgersburg, war begeistert von der Dorfschaft, von dem Landstrich und hat ihnen durch seine Aquarelle eine Hommage gesetzt. Der anmutige Ort dankt es ihm durch sichtbare Ehrungen in Texten und Bildern; ein Wanderweg trägt seinen Namen. Feininger arbeitete einige Zeit an der Bauhausschule in Weimar und erkundete mit dem Fahrrad Thüringen. Er war mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch im Tal der Wilden Gera. Die Werke beider weisen expressionistische Wurzeln auf. Ihre Wahrnehmungen spiegeln sich im Betrachten wider, sie sind sichtbar präsent. Literarische Leistungen dieser prägenden Stilrichtung der Bildenden Kunst des 20. Jahrhunderts hingegen scheinen zunehmend an Bedeutung, an Ansehen in der breiten Öffentlichkeit zu verlieren.

Umso mehr möge diese Betrachtung an Einen der Großen der deutschen expressionistischen Literatur einmal mehr Anstoß sein, ja ermuntern, auch in Frankenhain für Jakob van Hoddis ein sichtbares Wahrzeichen der Ehre zu setzen.

Rotraut Greßler, Hobbyhistorikerin. Frankenhain, August 2025                                       

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