Im kürzlichen Beitrag zur „Dicken Pappel“ spielten die Chancen der Waldmehrung als spürbaren Beitrag dauerhafter Bindung von Kohlendioxid in unserer Region eine maßgebende Absicht. Die Aufforderung zum Handeln in den Gemarkungen setzt jedoch Erinnerungen voraus, welche Herausforderungen die Vorfahren zu meistern hatten, um die Gegend zu besiedeln und die Ernährungsbasis für die Bewohner sicherzustellen. Damals stand das Gegenteil von Erstaufforstungen im Mittelpunkt, nämlich das Zurückdrängen dominierender Waldbestände durch Rodung und Gewinnung landwirtschaftlicher Grundstücke. Die standörtlichen Voraussetzungen waren in Quellnähe von Wilder und Zahmer Gera schwieriger als 10 Kilometer flussabwärts im Raum Plaue und noch 10 Kilometer weiter um Arnstadt. Dort stellten im Mittelalter über 450 Weinbauern sicherlich sehr herben Wein her, bis dieser vom Bier abgelöst wurde.
Die Landgemeinde Geratal und die Verwaltungsgemeinschaft Oberes Geratal sind Nachbarinnen, denn ab dem Jahr 1369, als die schwarzburgisch – käfernburgischen Besitzungen (Ortschaften um die Wachsenburg und um Liebenstein) an die Landgrafen von Thüringen veräußert worden sind, bestand nunmehr die herrschaftliche Nachbarschaft. Mit diesem Besitzübergang fing ab 1363 die Grafschaft derer von Witzleben in Angelroda an, setzte sich bis ins 15./16. Jahrhundert fort und dauerte schließlich von 1651 bis1945. Die Stammesgeschichte der Witzlebener begann mit Erich von Witzleben (933 bis 980), der 964 von Kaiser Otto I. zum Ritter geschlagen wurde. Im Gefolge des Landgrafen Ludwig von Thüringen treten zwei Familienmitglieder auf. Ab dem Jahr 1251 beginnt die Stammreihe mit Hermann von Witzleben, aus der drei Linien (Elgersburg/Angelroda, Liebenstein/Oldenburg und Wendelstein/Roßleben), die bis heute bestehen, hervorgingen. So gehörte Elgersburg von 1297 bis 1316 und 1437 bis 1802 zu Witzleben. In der Grenzlage von Grafschaften und Herzogtümern (Schwarzburg-Käfernburg, Henneberg, Sachsen-Coburg und Gotha sowie Sachsen-Weimar) wechselte die herrschaftliche Unterstellung der Ortschaften in unterschiedlichen Zeiträumen; die weitgehende staatliche Dauerhaftigkeit trat erst nach 1815 ein. Die vorhergehende Unstetigkeit lässt sich nicht zuletzt auf Erbauseinandersetzungen und dem Aussterben von Grundinhabern zurückführen. Die Witzlebener hatten weitere Besitzungen in Lauchröden/Gerstungen (Brandenburg), in Belgien (Uppin u.a.m.), Altdoebern und in Witzleben (Westpreußen). Im Mannesstamm dienten die Witzlebener ab dem 17. Jahrhundert als dänische und oldenburgische Oberjägermeister und Hofjägermeister. Die Elgersburger verschrieben sich ab dem Jahr 1635 immer wieder der preußischen bzw. sächsischen Militärlaufbahn. Der von 1881 bis 1944 lebende Heeresoffizier Erwin von Witzleben unterstützte als Generalfeldmarschall und Oberbefehlshaber West den Deutschen Widerstand. Dafür verurteilte ihn der sogenannte Volksgerichtshof 1944 zum Tod. Warum wird an diesen Widerständler zu aktuellen Anlässen nicht erinnert? Neben dem Angelrodaer Dorfgemeinschaftshaus sind die Reste des Schlosses als Museum der Öffentlichkeit zugänglich – inzwischen ist Angelroda nach Elgersburg eingemeindet worden.
In der VGOG sind zwei Waldgrundstücke belegen, die weit über unsere Region hinaus beweisen, dass vom ehemaligen Mittelalter immer noch ein Stück Bewahrenswertes übriggeblieben ist. Der Veronikaberg (552,2 Meter ü. NN) als südliche Spitze der Reinsberge zwischen Martinroda und Heyda (OT von Ilmenau) ist seit 1961 ein 116,1 Hektar großes Naturschutzgebiet. Der daneben befindliche Heydaer Berg misst auf der „Halskappe“ 605 Meter ü. NN. Das NSG zeichnet sich mit auf Muschelkalk stockenden Buchenwäldern aus. Als Mischbaumart befindet sich die Europäische Eibe (Taxus baccata) mit zahlreichen Exemplaren auf dem Berg. Vergleichbare Eibenvorkommen in Thüringen befinden sich noch im Biosphärenreservat Rhön und im Naturpark Eichsfeld. Die Eibe war im Mittelalter für die Waffenherstellung (Bogen und Armbrust) sehr begehrt. Der Martinrodaer Forstexperte Helmut Meinhardt hat sich um die Erhaltung der Eiben sehr verdient gemacht. Das durch Sandvorkommen (Porzellan-, Keramik- und Glasherstellung) bereits Ende des 19.Jh. wohlhabende Martinroda mit dem Frankenweg (1324 Plaue – Neusiß – Martinroda – Ausspanne – Unterpörlitz – Ilmenau) ist geschichtlich ein Beispiel des Herrschaftswechsels: ab 1219 Käfernburg, dann Henneberg und Witzleben, von 1670 bis 1920 als Zubehör des Amtes Ilmenau beim Herzogtum Sachsen-Weimar.
Dass nicht nur die Baumarten Buche, Kiefer und Fichte in den Geratälern eine Berechtigung haben, beweist der 45 ha große Rippersrodaer Pfarreiwald in Richtung Plaue. Dort herrscht mit über 80 Prozent die Eiche vor. Sicher ist sie noch ein Zeugnis des Mittelalters, als der Beruf des Schweinehirtens, wie auch die des Schmiedes und des Berufsjägers sehr angesehen waren. Aber heutzutage muss der moderne Schweinehirte, der jetzt ein tierschutzgerechter Schweinezüchter ist, ausreichenden Rückhalt in den Orten haben. Die Reminiszenzen an die Vorfahren sollen dazu beitragen, dass zwischen Landgemeinde und Verwaltungsgemeinschaft der Geratäler sich ein Zusammenwirken im Sinne der Ländlichen Entwicklung mehr als bisher herausbildet.
Dr. Karl-Heinz Müller