ZURÜCK

Gräfenroda 1733 – Eine wohlhabende Gemeinde. Eine neue Kirche. Ein erster Kantor und ein Flurumzug aus dem Jahr 1744.

von Alexandra

Bild: „Panorama Gräfenroda, 1909“, Archiv: Ralf Wagner


Zu Beginn des 18. Jahrhunderts stand der landesfürstliche Despotismus in voller Blüte. Auch die kleinsten Herrschaften standen in Konkurrenz, wenn es darum ging, ihren Wohlstrand zu präsentieren. In Gräfenroda war neben den Gothaer Herzogshäusern und den Schwarzburger Fürstenhäusern die Herrschaft der Willisen aufgetaucht. Sie hatten ebenfalls Geltungsbedürfnis nach ihren Rechten. Einer von ihnen erhielt von den Erben des Herzogs Ernst, der Fromme, Besitzungen in Gräfenroda: Hofmeister Witzleben von Liebenstein.

Nach ihm sind Gerichtshoheit und Besitz an den ehemaligen Gothaischen Kanzler Fischer übertragen. Auf dem Gelände des alten Freigutes, das der Kirche gehörte, ließ Fischer für seine Tochter ein neues Wohnhaus bauen, das so genannte Hofgut. Den Willisens gehörten obendrein noch die Häuser im Grund, rund um die Herrenmühle.

Zu vermuten ist, dass die Witwe von Willisen vis a vis von dieser Mühle ihren Wohnsitz hatte, wohl gar nicht im Hofgut wohnte. Dieser Familie gehörte auch die Mittel-und Niederjagd in der Gräfenrodaer Flur, außerdem das Fischwasser von Liebenstein bis zur Quelle der „Sieglitz“ und die der „Schmalen Gera“.

Bild: „Kirchgasse um 1980“; Zeichnung von Michael Preuß, 1980
(Darstellung mit ehemaligem „Johann-Peter-Kellner-Haus“ und der Kirche „St. Laurentius“)

Auch, wenn die Willisens die Bevölkerung als „ihre Untertanen“ bezeichneten, wurden die Einwohner immer selbstbewusster.

In Gräfenroda wohnten damals 500 „Seelen“. Sie hatten seit 1709 mit Jeremias Schneider (2.11.1676‒2.1.1738) ihren eigenen Pfarrer, bauten neben dem Hofgut ein Pfarrhaus und planten eine neue Kirche.

Die Gemeinde war wohlhabend. Wirtschaft und Handel blühten auf. Harz, Pech und Holz brachten Gewinn. Pachten und Zins stabilisierten weiterhin die Gemeinde-und Kirchenkasse.

Zum Bau einer neuen Kirche berichtet die Gräfenrodaer Chronik:

„1732 war das Gebäude völlig gerichtet und es fand bei dieser Gelegenheit eine allgemeine Festlichkeit in der Gemeinde statt. Nach der gewöhnlichen Ovation wurden die Gesundheiten in Wein getrunken, wozu die Gemeinde 3 ½ Nösel Wein für 4 Groschen 8 Pfennige aus Ohrdruf hatte holen lassen. Der Fürst von Schwartzburg schenkte der Gemeinde zu ihrem Kirchbau viele neue schöne Dielen. Bei dem Thurmbau zeigte sich in der Gemeinde ein reger Sinn für das Großartige und Schöne. Sie baute nicht nur den Thurm aus lauter Quaderstücken, sondern ließ auch das oberste Stockwerk achteckig ausführen. Der Tag der Einweihung ist in den Akten nicht angegeben; da aber den 16. October 1733 Knopf und Fahne auf den Thurm gesetzt wurden, so ist wahrscheinlich, daß am alljährlichen Kirchweihfeste der erste Gottesdienst in der neuerbauten Kirche gehalten wurde.

1733. Der Kirchen-und Thurmbau durch einstimmigen Wunsch der Gemeinde beschlossen, wurde nach erlangter Genehmigung des Herzoglichen S. (Sächsischen) Oberkonsistoriums unter Aufsicht und Leitung des Landesbaumeisters Straßburger begonnen und vollführt. Pfarrer war damals Jeremias Schneider und der Superintendent Adam Beringe.“

Im Übrigen ist der Grabstein von J. Schneider noch erhalten. Er hat seinen Platz im Kirchgarten der Kirche „St. Laurentius“.

Pfarrer Schneider war 28 Jahre im Amt und mit ihm und der neuen Kirche ist auch der Gräfenrodaer Johann Peter Kellner (1705-1772) verbunden. Ihr erster Kantor, angesehener, über seinen Heimat-und Wirkungsort hinaus weithin berühmter Organist.

In die Musikgeschichte ging er nicht nur als einer der bedeutenden Fugisten ein, sondern auch wegen seiner eigenständigen Klaviermusiken.

Aus seiner Feder stammen nicht nur hervorragende Noten, sondern auch ein kurzweiliger, unterhaltsamer Report über einen so genannten: „Flurumzug“ aus dem Jahr 1744“.

„Mit anbrechendem Tag versammelten sie sich vor der Schenke. Nach kurzer Ansprache und einigen Ermahnungen an die Teilnehmer, formiert sich der Zug und setzt sich in Bewegung. Vorweg „3 Märker“ mit ihren „Maßruten“.

Es folgen die „bewehrte Mannschaft“ mit ihrem Feldwebel, die Hornistengruppe und die „ Musicanz“. Dann kommen die Vertreter der Obrigkeit, die beiden Schultheißen samt Gerichtsschöffen und Vormundschaft, sämtliche Nachbarn der Gemeinde sowie die Jugendlichen und ältere Schulknaben.

Mit Musik geht’s zum unteren Dorf hinaus zum Pfaffenthal, wo die Liebensteiner, Gräfenrodaer und Geschwendaer Fluren zusammentreffen.

Nach der Begrüßung einer Geschwendaer Abordnung geht’s von Grenzstein zu Grenzstein rund um die Gräfenrodaer Flur.

Nicht nur Vertreter der Geschwendaer begleiten den Zug, auch die anderen Grenznachbarn treffen ein. Über dem Kammberg und Weißen Stein, durch die  „alte Laage“, auch „Ave Maria“ genannt, bis zum Dörrberg zieht sich der Zug.

Weiter geht’s an der Schwarzburger Mühle vorbei, ein Stück zur Lütsche hin, den Sandbach hinauf, nach Frankenhain und über die Burg bis zur Liebensteiner Grenze. Schließlich endet der Flurumzug dort, wo er begonnen hatte, am Pfaffenthal.

Man glaube aber nicht, der siebenstündige Umzug sei langweilig gewesen. Nicht umsonst waren die Musiker dabei, die sich jedesmal bemerkbar machten, wenn man auf neue Grenznachbarn stieß oder welche verabschiedet wurden. Auch sonst gab es viel zu scherzen, zu lachen, aber auch zu spotten, wenn zum Beispiel ein Geschwendaer sechs Schuh zu weit hinausgeackert hatte oder gar eine Grenzmarkierung fehlte.

Natürlich hatte die „bewehrte Mannschaft“ nicht umsonst ihre Gewehre mitgenommen. Immer wieder wurde in die Luft geschossen, so daß es von weither widerhallte. Es wurde aber nur mit Pulver geladen. „Schröter und Kugeln“ mußten zu Hause bleiben!

Der Flurumzug ist in Fried und Einigkeit abgegangen.“


Dieses Brauchtum könnte doch ganz im Sinne von Johann Peter Kellner und unserer Altvorderen wieder aufleben, auch im Hinblick darauf, dass unsere Kirche in diesem Jahr ihr 290. Jubiläum begeht, ihr erster Kantor dort gewirkt hat,
der immer mit seinem Heimatort Gräfenroda eng verbunden war.

Rotraut Greßler

(Einige Abschnitte liegen folgender Publikation zugrunde:
Abendroth, Rainer: Grevenrot-Gräfenroda 1290-1990. Zur Geschichte einer Rodungssiedlung. Gräfenroda 1989. 87. Seiten.)

Skip to content