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Chronik eines Baus meisterhafter Technik – 140 Jahre Brandleitetunnel im Thüringer Wald – Teil 2

von Alexandra

Teil 2

140 Jahre – Brandleitetunnel bei Oberhof. -Wir wollen erinnern-

Abschrift von einer Maschinengeschriebenen Arbeit, 1951, „Siebzig Jahre Brandleitetunnel“. Aus dem Nachlass von Roland Fischer, (1929 Gräfenroda -1969 Arnstadt) ehemaliger Lehrer an der Polytechnischen Oberschule in  Gräfenroda,  und Heimatfreund .

„Im Jahr 1880 begannen die Vermessungsarbeiten. Wie in Unterlagen des  Archivs der Reichsbahndirektion (RBD) Erfurt  vermerkt ist, wurde den Vermessern die Arbeit nicht leicht gemacht. (…). Auch in Gräfenroda machte sich eine starke Opposition gegen den Bahnbau bemerkbar. Viele Fuhrleute bangten um ihre Existenz. Man verweigerte der Bauleitung, Areal zur Verfügung zu stellen und daraus erklärt es sich auch, daß sich der Hauptbahnhof Gräfenroda auf der Liebensteiner Flur befindet.

Auf der Brandleite, unmittelbar am Rennsteig, wurde ein etwa 6 bis 8m hoher Turm errichtet, von welchem aus die Festlegung der Tunnellinie nach beiden Seiten erfolgte. Danach wurde entlang dieser Linie der Baumbestand in einer Breite von 4m entfernt, laut Eintragung im Tagebuch des Kreisers Christian Hofmann, der diese arbeiten vornehmen ließ. Noch heute (1951)  ist dieser stark verwachsene Streifen als Tunnellinie bekannt.

Nach Beendigung der Vermessungsarbeiten wurden weitere Vorbereitungen getroffen, wie dem Bau der Büroräume, Wohnungen, Kantinen (sogenannte Butiken). Die Arbeiten wurden in der Hauptsache vom Reg. Baumeister Franz Schunk geleitet. Die Initiatorin des Baus war Königliche Eisenbahndirektion zu Magdeburg.

„Der erste Spatenstich an der Oberhofer Seite wurde am 28. Mai 1881 getan.  Zunächst mußten drei Stellen ausgeschachtet werden. Schacht 1 am Bärensteinhang, ungefähr 30m seitwärts vom Forsthaus am Flößgraben, unweit der Ruhebank. Von dieser Stelle aus  führt die sog. Tunnelschneiße über die Brandleite hinauf auf den Gebirgskamm und von da ab auf die Gehlberger Seite Langebach.

Schacht 2 befand sich zwischen Tunneleingang und Bahnhof. Schacht 3 in der Nähe der Drehscheibe; hier wurde auch der erste Spatenstich getan. Am 28. Mai 1881, also am gleichen Tage, begannen auch die Arbeiten auf der Gehlberger Seite. Zu diesem Zweck mußte der Langebachteich trockengelegt werden. Dann wurde ein großer Einstich hergestellt, ein Luftschacht und Seitenstollen angelegt, in denen dann die Bohrungen unter Verwendung von Lokomobilen stattfanden. Die Pickluftbohrung war zu dieser Zeit schon geläufig.

Die Stollen- bzw. Schachtanlagen auf der Oberhofer Seite erfolgten derart, daß zunächst Löcher  von ca. 3m im Geviert ausgehoben wurden. Als diese dann eine Tiefe von 4 bis 5m erreichten, errichtete man über dieser Öffnung eine Rollvorrichtung mit Seil und Kübel und beförderte durch Menschen-kraft das gebrochene Material  nach oben. Als die Förderung durch Menschenhand nicht mehr möglich war und sich durch das Vordringen in die Tiefe auch Wasser einstellte, bewirkte den Transport der Erd-und Gesteinsmassen eine Lokomobile, die gleichzeitig in Verbindung mit einer Pump- und Kreiselvorrichtung das Wasser entfernte.

Schacht 1 war 30m tief angelegt und das Befahren dieses Schachtes war alles andere als angenehm. Zur Schachtsohle führten senkrecht im Schacht, bald rechts bald links miteinander wechselnd, Leitern. Dieser Schacht hatte in seinem unteren Teil nur 1m im Geviert. Er war innen mit Bohlen verschalt, die ab und zu durch Kreuzstreben abgestützt wurden. Der übriggebliebene Raum diente zur Beförderung der Erd-und Gesteinsmassen und des Wassers.

Von Schacht 1 und Schacht 2 wurde dann das gesamte Erdreich abgetragen und so der Einschnitt zum Tunnel hergestellt. Nach Erreichung dieses Zieles begann die Inbetriebnahme der Bohrmaschinen an Stelle der bisherigen Handarbeit.

Die Arbeiten hatten bis zum 8. August 1881 einen  leidlichen Fortschritt gemacht, als am nächsten Tag, ein Sonntag, ein schwerer Unglücksfall eintrat. Die Bohrmaschinen mit ihren z-förmigen Bohrern drangen bis zu einem Meter in das harte Gestein vor.  Die so hergestellten Bohrlöcher wurden dann von den Feuerwerkern  mit Sprengstoff gefüllt. Nun wurden die Maschinen zurückgebracht, die Preßluftleitung hart abgedeckt. Nur die Feuerwerker verblieben  noch an der Sprengstelle, um die Zündschnüre in Brand zu stecken. Dann entfernten auch sie sich eilig. Die Wirkung der Sprengschüsse war ungeheuer; die Detonationen erweckten vielfach donnerndes Echo in dem engen Felsenraum, und noch weit von der Sprengstelle entfernt verlöschten alle Bergmannslampen durch den gewaltigen Luftdruck.

Am Sonntag früh um 6 Uhr wurde die Nachtschicht abgelöst. Durch vorherige Sprengung lag eine Menge Gestein und Erdreich in der Tunnelfahrt. Eine Förderung war wegen eines plötzlichen Wassereinbruchs nicht möglich gewesen. Die Schlepper hatten schwer zu schuften, um die gesprengten Massen in die auf Schienen laufenden „Hunte“ zu verladen. Diese kleinen Wagen wurden dann durch Pferdegespanne hinausbefördert und entleerten ihr Material an der Stelle, wo Bahndämme für die Strecke nach Zella errichtet werden mußten. Hier fand auch das durch den Tunnelschacht geförderte Erdreich und Gestein seine Verwendung.

Bis an die Knie im Wasser stehend, hatten Schlepper und Bergleute der neuen Schicht bei den trüben Schein ihrer qualmenden, mit Rohöl gespeisten Bergmannnslampen begonnen, als plötzlich eine fürchterliche Explosion durch den Tunnelschacht hallte. Eine oder mehrere Sprengpatronen, die bei der vorausgegangenen Sprengung nicht gezündet hatten, waren aus unerklärlicher Ursache explodiert.

Als sich die Arbeitskollegen nach Überwindung großer Schwierigkeiten an die Unglücksstelle herangearbeitet hatten, fanden sie drei Menschenleben als Opfer vor: Einen Bergmann aus Bullay bei Zell an der Mosel; einen Bergmann aus Eslam in der Oberpfalz und einen Bergmann Widerstein. Eine Anzahl anderer Arbeiter wurde schwer verletzt. Erst nach acht Tagen konnten die hereinströmenden Wassermassen – der Wasserzudrang betrug  bis zu 90 Liter in der Sekunde – abgefangen und die Arbeit fortgesetzt werden. Bald darauf ereignete sich abermals eine Explosion, die wiederum ein Opfer forderte: den Bergmann Calisto Callagraro aus Italien.

Erst Anfang September konnten die Arbeiten ungestört ihren Fortgang nehmen. So vergingen die Jahre 1881 und 1882 unter stetigem Vorwärtsdringen von beiden Angriffsseiten nach der Tunnelmitte. Die freigelegten Durchbrüche wurden wegen Einsturzgefahr der Felsmassen mit Baumstämmen abgestützt, denn  das tägliche Sprengen verursachte allenthalben Lockerungen und Erschütterungen des Erdreichs.

Als Schacht 1 bis auf 1000m  vorgedrungen war, hatte die bis dahin geführte Steigung ihren Brechpunkt erreicht; von da ab ging es mit Gefälle weiter. Gleichzeitig wurde im Sommer 1882 schon mit der Verbreiterung begonnen, ebenso wurde die Tunnelschiene um ca. 45cm tiefer gelegt.

Am 7. Februar 1883 frühmorgens zwischen 5 und 6 Uhr stießen die beiden Arbeitsgruppen von der Oberhofer und der Gehlberger Seite in der Tunnelmitte aufeinander. Durch eine kleine Öffnung schüttelten sie sich die Hände. Der Durchbruch wurde nun erweitert und die  Hilfsgleise für die „Hunte“ wurden miteinander verbunden. Am gleichen Tage wurden um 10 Uhr morgens anläßlich dieses freudigen Ereignisses in Zella St. Blasius die Kirchenglocken geläutet, und vom Märzenberg und Lerchenberg wurde mit Böllern geschossen.

An der Durchbruchstelle wurde eine provisorische Mauer errichtet; hier wurde bei der Feier des Richtstellendurchschlages im Brandleitetunnel am 21. 2. 1883 der Durchbruch durch einen schwachen Sprengschuß symbolisch wiedergegeben. Der Scheitelpunkt des Tunnels ist gleichzeitig der höchste Punkt der Bahn, 639,4m über dem Meeresspiegel.

Am 1. August 1884 wurde die Strecke  unter großer Anteilnahme der Bevölkerung dem Verkehr freigegeben.  Über die Einweihungsfeier am Tunnel berichtet das „Arnstädter  Tageblatt“: „Etwa 600m im Tunnel angelangt, ladet uns der durch tausende  von Lampions erleuchtete und aufs reichliste geschmückte Frühstücksplatz ein. Nach kurzem, aber herzlichem Frühstück ergriff Herr Abteilungsbaumeister Richard aus Suhl  das Wort und entwickelte in kurzen Worten die Geschichte des Tunnels … Alsdann hielt Herr Pfarrer  Buddeus eine von ihm selbst verfertigte Ansprache und kurz hierauf erfolgte eine nicht unbedeutende  Detonation und brausende Hochrufe, und die Klänge der  Musik verkündeten den Durchschlag … Gegen 1 ½ Uhr ging die Fahrt weiter und etwa 300m von der Westseite entfernt bot sich dem Auge ein prachtvoller Anblick dar, wiederum reichlicher Blumen- und Girlandenschmuck, Tausende von Lampions, bengalische Flammen, in den Nischen prächtige Feuerwerkskörper machten einen erhebenden Eindruck.“ 1500 Arbeiter bildeten mit ihren Grubenlichtern im Tunnel Spalier. Besonders wurde der während des Tunnelbaus gebrachten Menschenopfer gedacht.

Alles in allem bedeutete der Bau der Bahnstrecke durch das gebirgige, unwegsame Gelände unter Leitung der Eisenbahndirektion Magdeburg eine großartige technische Leistung. Insbesondere gehörte der dreijährige Tunnelbau zu den schwierigsten Unternehmungen dieser Art, da sich der zu durchbohrende Hornsteinporphyr härter als der festeste  Granit zeigte und der große Wasserzudrang außerordentlich hinderlich, ja gefahrbringend war. Was die Länge des Tunnels betrifft, so steht sie im Vergleich zu anderen Tunneln in Deutschland an dritter Stelle. Viele Züge sind seit jenen Tagen durch den Brandleitetunnel gebraust.

Möge der Tag nicht mehr fern sein, wo im Zeichen eines geeinten Vaterlandes die Deutschen – unbeschwert durch künstliche Schranken- wieder von Nord nach Süd und von West nach Ost reisen können.“ (verfasst 1951)

Warum baute man diesen Tunnel- etwas zur Geschichte.

„Während das Eisenbahnnetz in Deutschland im Jahr 1850 nicht viel mehr als 6000 Kilometer betrug, war es im Jahr 1866 auf das doppelte gestiegen; 1865 betrug seine Länge bereits 15000 Kilometer. Auch in unserer engeren Heimat brach sich die neue Entwicklung stürmische Bahn. Sie ist gekennzeichnet durch die Gründung einer Reihe von kleineren und größeren Betrieben, besonders in Zella, St. Blasi und Suhl. 1864 gelang es, die Werratalbahn bis Wernshausen fertigzustellen. Die Suhler und Zellaer Betriebe waren bis zu dieser Zeit auf die Verwendung  von Holz und z. Teil schlechter Kohle als Heizmaterial angewiesen. Durch die Fertigstellung der Bahn war es möglich, Steinkohle und Eisen aus dem Ruhrgebiet bis Wernshausen bringen zu lassen. Mit Fuhrwerken transportierte man sie bis Suhl  oder Zella.

Anfangs stellten sich dem keine Schwierigkeiten entgegen. Nach kurzer Zeit stiegen aber die Fuhrlöhne bis zu 2.55 DM für den Zentner. Derartige Ausgaben konnten die Unternehmer auf die Dauer nicht leisten, wenn sie im Konkurrenzkampf bestehen wollten. So wurde deshalb 1864 in Schmalkalden ein Ausschuß gegründet, der sich mit der Projektierung einer Anschlußbahn Wernshausen – Stillergrund – Viernau – Mehlis- Zella St. Blasi-Suhl beschäftigte. Im gleichen Jahr zog man den Bau einer Strecke Gotha-Ohrdruf – Zella – Suhl – Schleusingen – Eisfeld in Erwägung. Für diese Linie war ein Tunnelbau Eimerbach – Lubenbach mit einem Kostenanschlag von 474 000 Mark vorgesehen. Beide Pläne konnten durch den Krieg von 1866 nicht realisiert werden. Erst nach Beendigung des Deutsch-Französischen Krieges projektierte man  1872 die Strecke neu und zwar in der Linie Erfurt-Arnstadt-Gräfenroda -Zella-Suhl- Grimmenthal-Meinigen, also ihren späteren wirklichen Verlauf.“

Wir haben diesen Artikel zum Anlass genommen, um die Bedeutung dieses Ereignisses besonders zu würdigen, aber auch, um zu erinnern an heroische Leistungen  unserer Altvorderen, die unter knochenharten Bedingungen großes vollbracht haben, das bis ins Hier und Heute Inbegriff von bautechnischer und architektonischer Vollkommenheit  ist, und , davon sind wir überzeugt, auch zukünftig  bleiben wird!

Rotraut Greßler und Jochen Ehrhardt, freie Autoren, und Heimatfreunde für Gräfenroda.

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